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Das Gesetz des Romans

Ist der Roman nur dick? Oder gibt es neben seinem Umfang noch andere Kriterien, die ihn auszeichnen? Folgt er bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die man angehenden Romanschriftstellern zur freundlichen Beachtung mit auf den Weg geben kann?

Grundsätzlich sei dazu gesagt: Der Roman ist die offenste literarische Form, die es gibt. Das bedeutet: Jeder Romanautor kann theoretisch und praktisch den Roman neu erfinden oder den bisher bekannten Genres ein neues hinzufügen. Man denke zum Beispiel an den österreichischen Schriftsteller Wolf Haas, der mit seinen Krimis um den Privatdetektiv Brenner berühmt wurde. In seinem ersten Roman der Nach-Brenner-Ära „Das Wetter vor 15 Jahren“ lässt er eine „Literaturbeilage“ als Hauptfigur auftreten, die im Dialog mit ihm selbst – dem Autor Haas – darüber spricht wie der Roman gemacht ist. Das Reden darüber ist der Roman. Das gab es in dieser Form bisher nicht. (1)

An diesem Beispiel sehen Sie, dass ein Roman neben der klassischen Erzählung alles enthalten kann: Briefe, Berichte, Interviews, Monologe, Dialoge, Tagebuchaufzeichnungen … Stilistisch und formal unterliegt der Roman keinerlei Beschränkungen, er ist also ein gesetzloser Geselle. Macht es das für Sie als Romanautor leichter? Nicht unbedingt. Gesetze sind schließlich auch Orientierungshilfen. Neben aller Freiheit der Gestaltungsmöglichkeiten gibt es aber doch ein Gesetz, an dass Sie sich halten müssen:

Der Roman ist gestaltete Form

Schon Aristoteles, der bereits vor mehr als 2000 Jahren den allgemein gültigen Gesetzen des Erzählens auf der Spur war, stellte in seiner Poetik fest, es müsse eine „Einheit der Handlung“ geben. Damit ist gemeint: Geschichten müssen eine organische Einheit sein, mit Anfang, Mitte und Schluss. (2) Dieses Gesetz gilt bis heute – auch für den Roman. Ein Roman ist gestaltet. Er trägt Ordnung, Struktur und Sinn in sich. Das ist es, was ihn vom echten Leben unterscheidet. Und das ist es auch, was die Leser von ihm erwarten.

„Jeder gute Roman besitzt Form, egal wie modern oder surrealistisch er ist. Tatsächlich liegt der besondere Wert des Romans gegenüber der unbearbeiteten Wahrnehmung darin, dass er dem Leben ein erkennbares Muster oder eine Bedeutung gibt. Das Leben ist frustrierend, chaotisch, unlogisch, launenhaft und die meiste Zeit offensichtlich sinnlos; voll von nutzlosem Leiden, Schmerzen, Tragödien. Doch der Mensch sehnt sich nach Ordnung, Planmäßigkeit und der Befriedigung individueller Möglichkeiten. … Wenn er sich dem Roman zuwendet, dann will er eine Art organischen Aufbau, Sinn und Struktur sehen. “ (3)

Der Roman ist ein Leben als Buch, so brachte es der romantische Dichter Novalis auf den Punkt. Doch nichts wäre langweiliger, als ein Leben – wie spannend es auch sein mag – eins zu eins im Roman abzubilden oder zu beschreiben. Überlegen Sie mal: Die vielen unendlich öden Dinge, die wir tagtäglich vom Aufwachen bis zum Ins-Bett-Gehen tun, die sinnlosen Gespräche, die wir führen … würde das wirklich jemand so lesen wollen? Nein! Der Roman unterscheidet sich ganz entschieden vom gelebten Leben. Er ist die gestaltete, bearbeitete und in Form gegossene Wahrnehmung des Lebens. Und dies ist vielleicht das einzige Gesetz des Romans, das Sie als Romanautor zwingend befolgen müssen.

(3) Mary Burchard Orvis: The Art of Writing Fiction zitiert nach James N. Frey: Wie man einen verdammt guten Roman schreibt, Emons 1993, S. 70

(1) Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren, Hoffmann und Campe Verlag, 2006

(2 )Aristoteles: Poetik, ca. 335 v. Chr.
Nachzulesen in der freien digitalen Bibliothek www.digbib.org/Aristoteles

 

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